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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 20.09.2002
Aktenzeichen: 2 L 110/02
Rechtsgebiete: VwGO, JAPO M-V


Vorschriften:

VwGO § 79
JAPO M-V § 25
1. Zur Aufhebung (auch) des Erstbescheides bei Verfahrensfehler im Widerspruchsverfahren.

2. Einwendungen im Sinne von § 25 JAPO M-V sind solche Beanstandungen der Bewertung einer Prüfungsleistung, die eine Überprüfung der Richtigkeit der Bewertung ermöglichen. Der Prüfling muß sich mit der Bewertung sachlich auseinandersetzen und die Gründe darlegen, weshalb er sie für unrichtig hält.


Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluß

Az.: 2 L 110/02

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Nichtbestehen der 2. Jur. Staatsprüfung

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 20. September 2002 in Greifswald durch beschlossen:

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald - 6. Kammer - vom 26.02.2002 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,-- EURO festgesetzt.

Tatbestand:

Durch Bescheid vom 22.09.1999 eröffnete der Beklagte dem Kläger, er habe die Zweite juristische Staatsprüfung nicht bestanden. Der dagegen gerichtete Widerspruch, mit dem der Kläger die Benotung von drei Aufsichtsarbeiten beanstandet hatte, wurde durch Widerspruchsbescheid vom 11.01.2000 als unbegründet zurückgewiesen.

Am 28.01.2000 hat der Kläger den Verwaltungsrechtsweg beschritten und sein Begehren, nachdem er die Prüfung endgültig bestanden hatte, auf die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beschränkt.

In der Sache haben die Beteiligten in erster Instanz im wesentlichen um die Frage gestritten, ob der Beklagte den Widerspruch zurückweisen durfte, ohne zuvor Stellungnahmen aller Prüfer einzuholen, gegen deren Bewertung sich der Kläger im Widerspruch gewandt hatte.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 26.02.2002 stattgegeben und in den Gründen die Auffassung vertreten, die Prüfungsbehörde habe im Widerspruchsverfahren nicht in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ob die vom Prüfling erhobenen Einwendungen substantiiert seien oder nicht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald - 6. Kammer - vom 26.02.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlich der vom Beklagten übersandten Vorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Über die Berufung entscheidet der Senat gemäß § 13Oa VwGO durch Beschluß, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Beklagte hätte nicht über den Widerspruch des Klägers entscheiden dürfen, ohne zuvor Stellungnahmen der betroffenen Prüfer einzuholen.

Daß dieser Verfahrensfehler erst nach Erlaß des Erstbescheides geschehen ist, hindert dessen Aufhebung nicht. Denn Gegenstand der Anfechtungsklage ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. In der Regelung kommt der Grundsatz zum Ausdruck, daß das Verfahren vor der Eingangsbehörde und der Widerspruchsbehörde als Einheit zu betrachten ist mit der Folge, daß die Eingangsbehörde auch Fehler der Widerspruchsbehörde zu tragen hat (vgl. OVG Bautzen, Urteil vom 18.04.2001 - 1 B 543/00 -, NVwZ-RR 2002, 409 mwN.; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Auflage, § 79 Rdn. 1, 2 b). Ein Ausnahmefall, daß zwingend nur der Widerspruchsbescheid anzufechten wäre, liegt hier nicht vor. Dies setzt nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO voraus, daß dieser erstmalig eine Beschwer enthält. Darum geht es im vorliegenden Verfahren jedoch nicht; der Kläger ist bereits durch den ursprünglichen Verwaltungsakt (Feststellung des Nichtbestehens der Zweiten juristischen Staatsprüfung) beschwert. Daß hier ein Fall des § 79 Abs. 2 VwGO (zusätzliche Beschwer durch Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift) vorliegen könnte, würde der Anfechtung auch des Erstbescheides dagegen nicht entgegenstehen. Denn in diesem Fall wäre dem Kläger die alleinige Anfechtung des Widerspruchsbescheides freigestellt. Nach § 79 Abs. 2 Satz 1 VwGO "kann" der Widerspruchsbescheid auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Der Wortlaut der Regelung selbst und auch der Vergleich mit der abweichenden Formulierung des § 79 Abs. 1 VwGO verdeutlicht, daß der Kläger im Falle des § 79 Abs. 2 VwGO wählen kann, ob er sich auf die bloße Anfechtung des Widerspruchsbescheides beschränkt (vgl. Redeker/von Oertzen, a.a.O., Rdn. 8) oder ob er es bei der Anfechtung nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO beläßt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Auflage, § 79 Rdn. 11).

Nach Bestehen der Wiederholungsprüfung ist das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die Aufhebung der Entscheidung über das Bestehen der ersten Prüfung nicht entfallen, da er durch die Aufhebung vom Makel des "Durchfallkandidaten" befreit wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.04.1991 - 7 C 36.90 -, NVwZ 1992, 56 = DVBl. 1991, 756).

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, daß der Beklagte gegen die gemäß § 52 Abs. 4 der Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Juristenausbildung im Land Mecklenburg-Vorpommern (Juristenausbildung- und Prüfungsordnung - JAPO M-V -) vom 04.08.1998 (GVBl. M-V, S. 775) auch für die Zweite juristische Staatsprüfung anzuwendende Vorschrift des § 25 Halbsatz 1 JAPO M-V verstoßen hat, die folgendermaßen lautet:

Sofern der Prüfling Einwendungen gegen die Bewertung einer Aufsichtsarbeit oder mündlichen Prüfungsleistung vorbringt, ist von den Mitgliedern, die die Bewertung vorgenommen hatten, eine Stellungnahme einzuholen und eine Nachbewertung vornehmen zu lassen; ....

Die Norm stellt sich, wie auch deren Überschrift ("Widerspruchsverfahren") zeigt, als eine besondere Regelung über den Ablauf des Widerspruchsverfahrens dar. Ihr ist zu entnehmen, daß die Prüfungsbehörde nicht verpflichtet ist, jeden Widerspruch d.h. unabhängig von dessen Inhalt, an die betroffenen Prüfer weiterzuleiten. Dies muß allerdings zwingend geschehen, "sofern der Prüfling Einwendungen gegen die Bewertung einer Aufsichtsarbeit ... vorbringt".

Einwendungen im Sinne von § 25 JAPO M-V sind solche Beanstandungen der Bewertung einer Prüfungsleistung, die eine Überprüfung der Richtigkeit der Bewertung ermöglichen. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Norm, der - wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend näher ausgeführt hat - darin besteht, dem Prüfling den aus Art. 12 Abs. 1 GG abzuleitenden effektiven Rechtsschutz bei einer berufsbezogenen Prüfungsentscheidung zu gewähren. Die Zuständigkeit für die sachliche Überprüfung der Bewertung soll auf die Prüfer verlagert werden, die eine "Nachbewertung" vorzunehmen haben, an die die Prüfungsbehörde gebunden ist (vgl. § 25 Halbsatz 2 JAPO M-V).

Eine solche Nachbewertung ist sinnvoller Weise nur dann möglich, wenn sich der Prüfling selbst mit der beanstandeten Bewertung sachlich auseinandersetzt und die Gründe darlegt, weshalb er sie für unrichtig hält. Dies ist etwa dann zu verneinen, wenn der Widerspruch sich in rein persönlichen Angriffen gegen die Prüfer oder in der pauschalen Behauptung erschöpft, die Note hätte höher ausfallen müssen. Zwar ist die Entscheidung, ob es sich um (weiterleitungsbedürftige) Einwendungen handelt, von der Prüfungsbehörde zu treffen; diese darf aber dabei keine besonderen Anforderungen stellen, etwa - wie es in der Klageerwiderung heißt -, daß für die Prüfer Anlaß bestehen muß, "auf Vorhalt entsprechender Rechtsprechungs- oder Literaturzitate Bewertungen erneut zu überdenken." Dies mag unabweisbar und auch erfolgversprechend sein, wenn der Prüfling geltend macht, daß eine als falsch bewertete Lösung in Wahrheit vertretbar sei und auch vertreten werde (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.1993 - 6 C 32.92 -, NVwZ 1993, 689). Die Prüfer sind vielmehr schon dann zu einem Überdenken ihrer Bewertung zu veranlassen, wenn der Prüfling ihnen hierfür "wirkungsvolle Hinweise" gibt, in dem er konkret darlegt, in welchen Punkten die Korrektur einer bestimmten Prüfungsleistung nach seiner Auffassung Bewertungsfehler aufweist (vgl. BVerwG vom 24.02.1993, a.a.O.). Dies kann etwa dadurch geschehen, daß der Prüfling erläutert, weshalb er eine bestimmte Aufgabenstellung anders interpretiert hat als der Prüfer (zufolge seiner Korrekturbemerkungen) oder indem er darauf hinweist, an welcher Stelle in seiner Ausarbeitung sich vom Prüfer als fehlend bemängelte Ausführungen finden lassen. Nur wenn der Widerspruch des Prüflings gegen die Bewertung seiner Leistung in diesem Sinne "Substanz" enthält, besteht Veranlassung, in das in § 25 JAPO M-V vorgesehene Nachbewertungsverfahren einzutreten.

Ob dem Beklagten allerdings uneingeschränkt zu folgen ist, wenn er meint, die Streichung des in der früheren Fassung des § 25 JAPO M-V enthaltenen Worts "substantiierte" vor dem Begriff "Einwendungen" (vgl. Bekanntmachung vom 05.08.1996, GVOBl. S. 71 bzw. 150) habe keine Bedeutung oder ob sich daraus immerhin ableiten läßt, daß die Prüfungsbehörde bei der Beurteilung der Frage, ob der Widerspruch dem Prüfer vorzulegen ist, nicht zu kleinlich zu verfahren hat, kann hier auf sich beruhen, da es darauf in diesem Fall nicht ankommt.

Die Anwendung der vorstehenden Grundsätze führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, daß der Beklagte verpflichtet war, außer - wie geschehen - von der Erstkorrektorin der Klausur Ö II noch vom Erstkorrektor der Klausur Z I, dem Zweitkorrektor der Klausur Z V und der Zweitkorrektorin der Klausur Ö II im Sinne von § 25 JAPO M-V Stellungnahmen zu den (sie jeweils betreffenden Einwendungen) des Klägers einzuholen. Die anderen Korrektoren der Klausuren Z I und Z V brauchten nicht am Nachbewertungsverfahren beteiligt zu werden, da deren Bewertung vom Kläger nicht beanstandet worden ist. Er hat in seiner Widerspruchsbegründung ausdrücklich klargestellt, daß sich der Widerspruch bezüglich der Klausur Z I "nur gegen die Bewertung durch den Erstkorrektor" und bezüglich der Klausur Z V "gegen die Bewertung .... durch den Zweitkorrektor" richtet. Eine entsprechende Einschränkung macht der Kläger im Hinblick auf die Klausur Ö II weder ausdrücklich noch schlüssig. Wenn er sich inhaltlich nur mit der von der Erstkorrektorin zur Begründung ihrer Bewertung gegebenen Stellungnahme auseinandergesetzt hat bzw. auseinandersetzen konnte, so liegt dies daran, daß die Zweitkorrektorin keine eigene Stellungnahme abgegeben, sondern sich lediglich mit der Bewertung der Erstkorrektorin "einverstanden" erklärt hat. Da es keine Veranlassung zu der Annahme gibt, die Zweitkorrektorin werde sich, wie immer die Nachbewertung durch die Erstkorrektorin ausfiele, dieser unbesehen anschließen - was im übrigen wohl kaum zulässig sein dürfte -, gab es keine Veranlassung, von der Zweitkorrektorin keine Stellungnahme einzuholen. Im übrigen hat der Kläger zur Zweitkorrektorin (zusätzlich) die Zulässigkeit des Verzichts auf eine eigene Begutachtung beanstandet.

Daß der Widerspruch des Klägers bezüglich der Klausur Ö II im Sinne der obigen Ausführungen (substantiierte) Einwendungen enthält, läßt sich ohne weiteres bejahen. Der Kläger hat sich zur Unterstützung seiner Auffassung unter anderem verschiedentlich auf Literatur und Rechtsprechung berufen. Weiterer Ausführungen bedarf es in diesem Punkt nicht, da auch der Beklagte insoweit - wenn auch (zu Unrecht) beschränkt auf die Erstkorrektorin - Veranlassung zur Durchführung des Nachbewertungsverfahrens gesehen hat.

Im Hinblick auf die Bewertung der Klausur Z I erschöpft sich die Kritik des Klägers nicht auf ein pauschales Bestreiten der Richtigkeit der Bewertung. Vielmehr legt er im einzelnen dar, welche Wertigkeit den einzelnen Teilaspekten seiner Auffassung nach zukommt und weshalb er meint, gerade das Hauptproblem der Arbeit "zum Großteil erkannt" zu haben. Daß der Kläger sich damit wohl auf ein Feld begeben hat, bei dem ein der gerichtlichen Kontrolle entzogener Beurteilungsspielraum der Prüfer besteht, ist gerade kein Grund den betroffenen Prüfer nicht zu einem Überdenken seiner Bewertung zu veranlassen.

Auch mit der Bewertung der Klausur Z V setzt sich der Kläger konkret sachlich auseinander. So weist er etwa darauf hin, aus welchem Teil seiner Ausführungen sich ergeben soll, daß er entgegen der Meinung des Zweitkorrektors doch "zwischen streitigem und unstreitigem Parteivorbringen unterscheiden könne". Außerdem führt er aus, weshalb er den Bearbeitervermerk für unklar gehalten und selbst in einer bestimmten (von der Ansicht des Prüfer abweichenden) Weise verstanden hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 14, 13 Abs. 1 GKG. Die Revision ist nicht zuzulassen gemäß § 132 Abs. 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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